Ist das kommunale Wahlrecht in Schleswig-Holstein verfassungswidrig?

Eine fundierte Recherche oder aber eine Verschwörungstheorie? Letzteres denke ich nicht. Dazu habe ich zu viele komplexe Beweise gefunden, die eine demokratische Wahl der kommunalen Selbstverwaltungen infrage stellen.

Bei der Kommunalwahl 2018 trat ich als Spitzenkandidat für die Piratenpartei in Neumünster an. Wir konnten nur 11 der 23 Wahlbezirke besetzen. Wozu auch, ein Direktkandidat würde eh nicht gewählt werden, aber über die Liste wären 1 oder 2 Sitze möglich. Trotz 15000 verteilter Flyer hat es nicht gereicht.

Schon vor der Wahl habe ich mich mit dem Wahlrecht beschäftigt, dabei bin auf einige Ungereimtheiten gestoßen. Zunächst habe ich mich mit den Gesetzen beschäftigt, fand aber kaum einen Ansatz. Allerdings tauchten Fragen auf. Neumünster ist eine kreisfreie Stadt. Aus Wahlbezirken werden 23 Wahlkreise gebildet, zusätzlich stellen diese Wahlbezirke räumlich die Stadtteile dar.

Da die Wahlbezirke gleich viele Einwohner haben sollen, werden diese vor jeder Wahl neu zugeschnitten und von der Ratsmehrheit so als Stadtteile festgelegt. Auch die Wahlkreise werden so immer wieder neu bestimmt. Die Wahlkreise sind so sogar Stadtteil übergreifend, bestehen aus Wahlbezirken nach Einwohnern nicht nach Wahlberechtigten gebildet. Damit also nicht vergleichbar.

Die Wahl läuft wie folgt ab. In jedem Wahlkreis wird separat ein Direktkandidat gewählt der gleichzeitig als Stimmensammler fundiert, um einen Verhältnisausgleich zu gewährleisten. Über den Verhältnisausgleich werden so 22 weitere Sitze in der Ratsversammlung verteilt. Dazu stellen die Parteien Listen auf. Die Sitze werden dann basierend auf den zusammengezählten Stimmen der Direktkandidaten verteilt. Nur wo kein Direktkandidat aufgestellt war, konnte der Wähler die Partei nicht wählen, die Krux des Einstimmenwahlrechts heutiger Prägung.

Wir erinnern uns, die 5% Hürde gibt es nicht mehr. So müsste also jede Stimme zählen, um dem Art.28 Grundgesetz bzw. dem Art.4 Landesverfassung gerecht zu werden. Dieses aber wird durch das Einstimmenwahlrecht nicht sichergestellt.

Eine Listenwahl muss also über das ganze Wahlgebiet stattfinden den Verfassungen gerecht zu werden. Wichtiger aber noch, diese Wahl ist sogar zwingend notwendig. Hierzu urteilte das BVerfG bereits 1953. Zitat“Der Einfluss von Parteien auf die Auswahl von Kandidaten endet mit der Wahl“.

In der Gemeindeordnung steht in §46 wie nach der Wahl die Sitzverteilung gestaltet wird. Dazu werden die Stimmen der Direktkandidaten zusammengezählt und nach dem Saint l Verfahren auf die restlichen Sitze verteilt. Weder die Wahlgesetzgebung, noch die Bedingungen zur Sitzverteilung enthalten irgendeine Erwähnung von direkt gewählten Parteilisten. Wie auch, diese Wahl fand aufgrund des Einstimmenwahlrechts nie statt!

Selbst, wenn man sagen könnte, für den Verhältnisausgleich reicht es gerade noch, so hat das Ganze immense Auswirkungen auf die weitere rechtmäßige Gestaltung der politischen Arbeit innerhalb der Wahlperiode.

Ohne eine gewählte Liste gibt es keine durch eine Wahl legitimierten Nachrücker, falls Mitglieder der Ratsversammlung ausscheiden. Aber damit nicht genug, es gibt ja noch Ausschüsse und Stadtteilbeiräte. Das sind Gremien, die vom Wähler legitimiert die politische Arbeit vorbereiten, teilweise sogar entscheiden.

Während bei den Stadtteilbeiräten die Frage zu klären wäre, warum die Bürger diese nicht Stadtteilbezogen wählen dürfen, wie es nach der Gemeindeordnung §47b Abs. 4 vorgesehen ist, sieht die Situation in den Ausschüssen viel dramatischer aus.

Um die Feierabendpolitiker der Ratsversammlung zu entlasten, werden hier bürgerl. Mitglieder eingesetzt. Wer aber darf da mitmachen? Das BVerfG urteilte 1953 ganz klar. Auch im GKWG §46 Abs.3 steht „sie müssen der Gemeindevertretung angehören können“. Das aber kann man nur, wenn man zuvor auf einer von Bürger gewählten Liste gestanden hat.

Entgegen dieser Auffassung, beruft sich die Politik auf einen Gesetzeskommentar, nach dem die Wählbarkeit zu Zeitpunkt der Ernennung damit gemeint ist. Dieser Kommentar ist nicht höchstrichterlich bestätigt und steht im Gegensatz zum BVerfG Urteil 1 BvL 67/52 von 1953.

Es ist rechtlich ein Unterschied, ob eine Liste und wenn auch nur mit einer Stimme gewählt wurde oder gar keine Wahl stattfand. Mit der Nichtwahl verstößt die Ernennung eben solcher Bürger mit Stimmrecht durch Parteien gegen das Grundgesetz.

Sieht man sich nun die Aufgabenfelder von Ausschüssen an, so können diese mehrheitlich von der Ratsversammlung zur entscheidenden Stelle berufen werden. Betrachtet man dazu die Zusammensetzung von Ausschüssen an und die gesetzlichen Voraussetzungen, so missachten diese ein Urteil des BVerwG Urteil 8 C 18.03.

Ausschüsse sollen danach ein Spiegelbild der Ratsversammlung darstellen, was aber durch ein Verhältniswahlrecht verhindert wird. Sprachrecht und Stimmrecht werden hier stark vermischt. Das geht soweit, das nicht vom Wähler gewählte aber von Parteien bestimmte Ausschuss Mitglieder Stimmrecht haben, gewählte Ratsmitglieder aber nicht. Der Einsatz von nicht durch den Wähler gewählten Ausschussmitgliedern, ist bereits im §46 der Gemeindeordnung geregelt, um Fachwissen mit zu berücksichtigen. Die so in Ausschüsse berufenen Personen haben dann aber kein Stimmrecht.

Noch ein Wort zu den Stadtteilbeiräten. In stimmgewichtigen Stadtteilen, also solche mit vielen Wahlberechtigten, sichern sich Ratsherren gerne dort einen Sitz, um ihren Einfluss direkt geltend zu machen. Vergleicht man hier nun die Gemeinden der Landkreise mit Stadtteilen, so haben die Bürger der Städte erheblich weniger Möglichkeiten sich an der Basis politischer Arbeit gestaltend zu beteiligen.

Ich habe nach der Wahl gegen dieses, Einspruch erhoben. Dieser wurde von Wahlausschuss abgelehnt. Da ich der Sitzung bewohnte kann ich mir ein Urteil über die Verfahrensweise erlauben.

Es war erschreckend, wie wenig Sachverstand vorhanden war und wie wenige Zweifel hatten. Offensichtlich ist das Verfahren Kommunaler Wahlwiderspruch ungeeignet. Es ist nicht vorgesehen, bestehende Zweifel seitens des Ausschusses durch Gerichte klären zu lassen, der Wahlablauf anhand der Vorgaben geprüft, ohne die Vorgaben selbst in Zweifel zu ziehen. Bemerkenswert für eine politische Selbstverwaltung.

Der Hammer folgte dann. Nachdem ich den ablehnenden Bescheid erhalten hatte, habe ich mich dem Rechtsweg folgend an das Verwaltungsgericht gewandt. Dort konnte mir die Frage nach den Kosten nicht abschließend beantwortet werden. Es kann und darf nicht die Aufgabe eines Bürgers sein einen die Allgemeinheit betreffenden Rechtsverstoß auf seine Kosten zu korrigieren. Möglichkeiten diesen Verfassungsverstoß zur Anzeige zu bringen gibt es auch nicht.

Das Feedback zweier Verfassungsrechtler gab den Ausschlag, diese Bedenken als Petition beim Schleswig-Holsteinischem Landtag einzureichen. Zitate: „So hat das bisher noch niemand betrachtet“ oder „Ja, ich hab Bauchschmerzen, wenn ich der Argumentation folge“.

Bewusst habe ich wegen der Komplexität des Ganzen keine öffentliche Petition gestartet.

Quellen:

Art.28 GG

Art.4 Landesverfassung SH

BVerfG Urteil 67-52

BVerfG Urteil 67-52

Gemeindeordnung SH §46

 

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